Perspektiven: Pasquale Herren, Grafikerin bei Kargo Kommunikation in Bern
Grafikerin als Wunschberuf, ein langer Weg zum Ziel und wie man bei einer Recherche nicht nur Inspiration, sondern auch eine Stelle findet.
Deine Geschichte in drei Sätzen:
Grafik, das war immer mein Wunschberuf; doch ich habe nach der Schule keine Lehrstelle gefunden. So bin ich zweieinhalb Jahre ans Gymnasium gegangen – brach aber ab, weil mein Grafik-Traum mich nicht mehr losgelassen hat. Dann habe ich den Vorkurs an einer Privatschule in Bern besucht und darauf (endlich!) eine Lehrstelle beim Atelier Müller Lütolf in Bern gefunden. Abgeschlossen habe ich die Ausbildung als Grafikerin EFZ 2019.
Heute:
Bin ich angestellt bei der Berner Agentur Kargo Kommunikation. Ich arbeite in einem tollen Umfeld mit einem sehr breiten Kundensegment und in unterschiedlichsten Medien und Anwendungen.
Was ist dir bei deiner Arbeit wichtig?
Dass ich keine 0815-Grafik mache und mich ständig neu erfinden kann. Und ich möchte auch mit begrenzten Budgets das Bestmögliche erreichen.
Was schätzt du an deiner Arbeit und was gefällt dir weniger?
Jeder Tag ist anders, ich habe viel Abwechslung und mein Herzblut ist mein Beruf – das liebe ich! Mühe habe ich mit der Wertschätzung unserer Arbeit: Viele Kunden wissen nicht, was alles dahintersteckt. In meinem privaten Umfeld ist es manchmal noch schlimmer – dort hörte ich schon den Spruch «Warum soll ich dich denn bezahlen? Du machst das doch gern». Einer Zahnärztin würde man sowas nicht sagen.
Wie hast du es mit der Work-Life-Balance?
Ganz gut. Ich habe im Moment keine Familie und mein Freund hält es manchmal auch ohne mich aus.
Welchen Stellenwert hat für dich deine Ausbildung – was konntest du mitnehmen? Was hast du vermisst?
Ich habe meine Ausbildung als Grafikerin EFZ super gefunden. Mein Lehrbetrieb hat sich sogar darum bemüht, dass Kunden Lösungen wählten, in die ich meine Interessen einbringen konnte. So habe ich zum Beispiel ungemein viel illustriert. Und in der Berufsfachschule konnte ich mich kreativ voll ausleben. Vom Anfang des Vorkurses bis zum Abschluss als Grafikerin sehe ich einen riesigen Fortschritt in meinen Arbeiten. Das motiviert!
Was ich vermisst habe? Programmkenntnisse. Im ersten überbetrieblichen Kurs (ÜK1) kriegt man zwar eine Schnellbleiche, aber es ist sehr viel Input in sehr kurzer Zeit. Für mich zu viel, um es zu verinnerlichen und in meinen Alltag zu integrieren.
Und weil mich Illustration sehr interessiert: Einblicke in den Alltag und die Techniken von unterschiedlichen Illustratorinnen und Illustratoren. Das hätte ich sehr spannend gefunden.
Wie beurteilst du die aktuelle Ausbildung zum Grafiker EFZ, zur Grafikerin EFZ?
Die vier Jahre in meinem Lehrbetrieb waren cool – aber es wäre auch toll, in dieser Zeit in andere Ateliers reinzuschauen. Gerade für die, die in einem sehr spezialisierten Betrieb ihre Ausbildung machen. Und wie oben beschrieben: Mehr Programmkenntnisse vermitteln. Ich hatte nach meinem Abschluss das Gefühl, ich beherrsche die Programme gut, in meinem jetzigen Alltag begegne ich diesbezüglich aber sehr vielen Aha-Erlebnissen. Man lernt nie aus.
Zudem schade finde ich, dass man für den Vorkurs bezahlen muss. Damit schliesst man viele potenziell gute Gestalterinnen und Gestalter aus, die aus weniger gut gestellten Familien kommen und die sich die Kosten dafür nicht leisten können. Ich kenne einige davon. Und Nein, ich bin definitiv keine Freundin des amerikanischen Bildungssystems.
Wo steht unser Beruf in fünf Jahren?
Fünf Jahre sind nicht viel – aber vermutlich gibt’s noch mehr Programme, es wird mehr digital, vielleicht auch mehr 3D? Und es wird sicher auch mehr Hobby-Grafiker geben und der Druck auf dem Stellenmarkt wird weiter steigen. Er ist jetzt schon immens: Von meinen ehemaligen Mitschülerinnen und Mitschülern hatten direkt nach dem Abschluss nur drei eine Stelle. Das ist ernüchternd.
Und zum Schluss noch dies:
Yes! Eine witzige Geschichte wie ich zu meiner Stelle hier gekommen bin: Bei der Abschlussarbeit hatten wir das Oberthema «Urban Sports Challenge» und bei meiner Recherche bin ich auf ein Logo gestossen. Ich wollte wissen wer das gemacht hat und bin so auf der Website von Kargo Kommunikation gelandet. Dort habe ich gesehen, dass sie eine Grafikerin suchen. Ich habe mich mitten in der Abschlussarbeit beworben und die Stelle bekommen!
Manuel: Danke für deine Zeit und das tolle Gespräch Pasquale!
Showcase
Zum Autor: Manuel Castellote ist Grafiker, Texter/Konzepter und Illustrator. Selbstständig seit 2012 und seit 2019 im Vorstand des SGD. Er lebt und arbeitet in Bern.