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OFFICINA HELVETICA

Von  | Gesellschaft & Kultur, Netzwerk | 22. Dezember 2020

    OFFICINA HELVETICA

    Officina Helvetica Mainpicture Blogpost

    Analoge Techniken versus digitale Methoden? Nein, beides miteinander kombinieren ist richtig! Es gibt nicht richtig oder falsch in der Anwendung von Gestaltungstechniken. Falsch ist, nicht ausprobieren und nicht experimentieren. Grafik lebt immer noch von solitären Erfindungen und gewagten Experimenten. Damit ist Grafik einzigartig geworden. Damit hat sich Grafik weltweit etabliert.

    Unser Laboratorium in Biel, OFFICINA HELVETICA, will altes Wissen und alte Techniken mit modernen Technologien zusammenbringen!

    Print ist tot – es lebe Print

    Grafiker*innen sind versatil. Print ist in den letzten Jahrzehnten immer mehr eingebrochen und macht neuen Medien Platz die wir in uns aufsaugen und mit denen wir uns beruflich beschäftigen. Nirgends gibt es wohl mehr Weiterbildungsangebote als beim Erlernen neuer digitaler Tools, Techniken und Medien. Das ist gut so. Wir sind heute nur 36 Jahre von der Erfindung des Grafik-Tools par Excellence, dem Macintosh 128k entfernt. Von der Erfindung der Lithographie 1798 bis zum Offsetdruck verging doch wesentlich mehr Zeit. Erst 1912 lief die erste Rollenoffsetmaschine in Leipzig und der Siegeszug des Offsetdruckes begann erst so richtig nach dem 2. Weltkrieg. Zwischen den beiden Bilderdrucksystemen liegen circa 150 Jahre!

    Die meisten von uns kennen diese Geschichte, die wir hier nicht weiter besprechen wollen.

    Haptik

    Digitale Parameter, Geräte und Maschinen haben uns die Haptik gestohlen. Was wir mit dem Tastsinn «begreifen» können, hat sich in Pixel aufgelöst und hinter einer Glasscheibe verborgen. Alles wird irgendwie hyperrealistisch aber gleichzeitig auch unerreichbar. Macht sich denn jemand Sorgen, weil er tausend Gegner totgeschlagen hat? Wie wissen es ja: das waren nur Pixel. Stumpft uns das ab gegen Gewalt? Nein, alles Fake und Game. Es muss einfach immer wieder ein neues Game her, weil die alten Pixel bzw. Games nicht mehr spannend sind. A propos: alte und einfache Dinge. Die Jungs und Mädels können sich nicht satt spielen mit «Pac_Man» und findens megageil. Ist fast so gut wie Flipperkasten nur eben: s. oben.

    Materialität

    Mit der Materialität ist es ähnlich. Es gibt keine Materialien mehr. Materialität ist gefakt, nachgeahmt, häufig absolut perfekt gemacht – aber kalt. Berühren kann man nur die Scheibe dazwischen oder eine 3D Brille anziehen. Materialität hat aber etwas mit Gefühl zu tun, nicht nur mit anschauen; auch mit den Fingern und den Hautoberflächen: warm, kalt, nass, trocken, schmierig, unangenehm … Papier berühren mit rauher oder glatter Oberfläche, leicht wie Seidenpapier oder schwer wie Kartonpappe, billig wie Zeitungspapier oder edel wie Banknotenhadern. Viele Materialien klingen: sie geben Töne ab beim Berühren, dran klopfen, darauf hauen, beim Streicheln. Es ist das genaue Gegenteil der stromlinienförmigen Darstellung mittels einer Datei.

    Farbigkeit

    Millionen Pixel der Screens konkurrenziern sich mit Farben aus Pigmenten, Wachs, Firnis und Lösungsmitteln. Trotzdem haben diese primitiven Farben eine Differenzierung, die mit nichts zu vergleichen sind. Ihre Transparenz, ihre Opazität und ihre differenzierte Erscheinung ist nicht digital reproduzierbar. Dieser Einsicht lässt bei den jungen Gestaltern ein neues Bewusstsein erwachsen, das mit einem neuen Gefühl für Handwerk zu tun hat. Es sind alte Techniken wie Linol- und Holzschnitt, Bleisatz und Holzbuchstaben, Farben die mit Walzen von Hand aufgetragen und gedruckt werden. Es ist wie die Wiederentdeckung der Hände als Werkzeuge für die Herstellung von Artefakten. Gerade jüngere Leute, die schon in jungen Jahren fast nur Bildschirme und Fernbedienungen sahen, riechen jetzt an Farben und berühren, liebkosen Papiere und sind begeistert durch die unendliche Vielfalt an Variationen die Materialität und der analoge Druck bringen. Da sind Farben möglich die sonst nur mit Malerei erreicht werden können, Farbschichten die nur mit analoger Drucktechnik möglich sind.

    Einmaligkeit

    Künstlerische Drucktechniken leben nicht von industriellen Auflagenzahlen. Wir drucken keine Wurstprospekte oder Abstimmungsunterlagen. Für das gibt’s Grossdruckereien. Wir drucken Kleinstauflagen auf Andruckpressen und nicht mehr auf Auflagenpressen. Kleine Auflagen machen die gedruckten Blätter rar und einzigartig. Auf unseren Pressen ändert sich die Ausgangslage nach jedem Druck, weniger Farbe, neue Farbmischung, anderes Papier etc. Jedes Blatt ein Unikat.

    Experimentieren

    Unser Ziel ist es, möglichst viel mit analogen und digitalen Methoden zu experimentieren. Wir setzen alle Mittel ein, die Resultate bringen: Wir machen Druckvorlagen mit Lasertechnik, wir drucken Druckstöcke im 3D Drucker, wir kombinieren analog- und Digitaldruck. Nichts ist heilig, nichts wollen wir unversucht lassen.

    Im analogen Druck wohnt die Seele der Erkenntnis

    Unser Ziel ist es eine Werkstatt für alle Analog-Nerds einzurichten, die mit digitalen Methoden genausogut arbeiten können wie mit analogen Werkzeugen. Wir sind nun einmal analoge Wesen, das können wir nicht ändern. Ohne analoge Umgebung sind wir zum Scheitern verurteilt. Ich war bei den Ersten, die begannen, digitale Technologien zu fördern und in unserer Branche zu verankern. Ich bin auch bei den Ersten, die das nur-digitale in Frage stellen und mit beiden Welten zusammenarbeiten möchten. Es ist nicht die digitale Maschine der meine Arbeit in Frage stellt, es kommt darauf an, was ich mit ihr mache und ob ich dabei das Zeichnen und Entwerfen von Hand verlerne. Vielleicht drucken wir ja in einigen Jahren mit einem raffinierten 3D-Metalldrucker eine Buchdruckmaschine?

    Crowd-Funding für OFFICINA HELVETICA

    Helft uns, unsere Werkstatt des OFFICINA HELVETICA besser, schöner und attraktiver zu machen. Unterstützt unser Crowdfunding Projekt.

    Ein herzlicher Gruss von der Grafiker*innen/Drucker*innen Zunft aus Biel

    Marc Zaugg und Team

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    Über den Autor: Marc Zaugg hat für Verlage, Werbeagenturen, das Schweizer Fernsehen und NGO’s Kommunikation gemacht, Ausstellungen für Museen und Mineralwasserfirmen konzipiert und während über 30 Jahren junge Kolleginnen und Kollegen im Fach Grafik ausgebildet. Er beschäftigt sich heute mit Original Druckgrafiken, Linogravuren, Xylogravuren und Mischtechniken.

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